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Courage Neu

1. Ausgabe

1.

DAMPFABLASSUNG DURCH BESCHIMPFUNG


Wie es sich für einen anständigen Bürger nun einmal gehört, habe ich eine Tageszeitung abonniert, lese aber aus Prinzip nichts, was auch nur allerentferntest mit dem Covidl-Ferdl zutun hat, denn die Abundanz an Blödheit und Charakterlosigkeit, die hier ihr Unwesen trieb und immer noch treibt, hat alles Negative, das ich bei einer bestimmten Sorte von Mitmenschen sowieso immer schon vorausgesetzt habe, in einer Art und Weise übertroffen, dass ich fassungslos beschlossen habe, das alles zu ignorieren. Gestern habe ich beim Überblättern aller Seiten, die im Allgemeinen dieses Thema streifen, den furchtbaren Fehler gemacht, einige Worte im Vorbeihuschen dennoch zu lesen.


Mir stieg die Zornesröte ins Gesicht, meine Galle kochte über, die letzten Reste meiner Gelassenheit verdampften, ich setzte mich vor den Mausimax und hackte blindwütig drauflos.


Ihr hohlquirnigen, kaffipyartigen Hornomanten!


Ihr Quirksaberln!


Vom wilden, kerbarussigen, stirkelscheinigen Vollkabauter gebissen!


Mister Kowidl soll auch alle tartarussen, kiriwackeln und letztendlich exkarwaukeln!


Bis ans Ende eurer Tage faruckelt euch!


Zuwackt euch ins Genu!


Verkickelt!


Mein Zorn war verraucht, ich kann mir zwar etwas kindisch vor, war aber zufrieden und wir setzten uns, beide vergnügt, vor den Fernseher. Man spielte die Saga der sechsunddreißig Leichen, einer dürren, o-beinigen Heldin, ihres sechzehnmal gezeigten, zu kleinen Busens, das Ding weiter unten war nicht zu sehen, was Wunder, es wurde jedesmal, wenn es zu sehen gewesen wäre, von einer sehr beweglichen Arschbacke verdeckt. Ich war mitten drunter eingeschlafen, hatte sicherlich nichts versäumt, was ich nicht schon vorher gesehen hatte und wir gingen dann bald ins Bett.


Als ich am nächsten Tag mein wildes Geschreibsel überlesen hatte, war ich von dieser Stümperei erschüttert. Mein Ich, was heißt Ich, mein Überich, war am Boden zerstört, denn einen so witzlos und schlecht geschriebenen Text habe ich noch nie in meinem ganzen Leben verbrochen! Zusätzlich war es auch noch beim besten Willen völlig unklar, wer oder was überhaupt gemeint hätte sein sollen! Ich wollte den ganzen Schmonzes einfach deleten, aber dann dachte ich mir, dass ich es als Menetekel, für was auch immer, vielleicht doch noch einmal gebrauchen könnte und ließ es stehen.


Um mein seelisches Gleichgewicht wieder halbwegs ins Lot zu bekommen, will ich mir daher lieber ein paar Zeilen mit meinem Liebling Cleo gönnen:


„McLeod!“


Cleo hätte nie geglaubt, dass die Lautstärke einer menschlichen Stimme eine solche gigantische Phonzahl erreichen könnte, die Tür sprang gleichermaßen von selbst auf, kaum dass sie zitternd ihre Hand ausgestreckt hatte und sie stand, zur Gartenzwerggröße geschrumpft, vor Honeybabe. Zum Glück stand O`Brian ebenfalls da, zur Salzsäule erstarrt, aber sonst, wie ihr ein verhuscht und ängstlich abgeschossener Seitenblick zeigte, durchaus vergnügt.


„McLeod!“ Mahony walzte hinter seinem Schreibtisch hervor, eine kompakte Masse aus glühender Lava und Dampfhammer und baute sich einen Meter vor ihr auf. O Gott, dachte sie, noch ein Schrei dieser Art und ich bin auf ewig taub.


„Ich hatte gestern die Unvorsichtigkeit, Sie lediglich als Kakerlake zu bezeichnen, entschuldigen Sie diesen Fehler, Officer!“ Er schnaufte tief und röhrend ein, etwa zehn Kubikmeter Luft, dachte Cleo und sie starrte, einigermaßen gelähmt und zittrig in das knallroteste Gesicht eines Menschen, das sie je gesehen hatte, schöner gefärbt ist nur der Arsch eines Pavians, dachte sie. „Du bist der blödeste Trampel, über den ich gestolpert bin! Eine Haselnuss ist gegen die Größe deines Hirns der Kilimantscharo, eine Filzlaus ist im Vergleich zu so etwas wie dir ein liebenswertes Wesen! Spulwürmer, Ratten, Kloakenscheiße und Kotze sollen mich bis ans Ende meines Lebens begleiten, wenn ich dich dafür loswerde! Sie, Officer, sind ein Warzenschwein, eine Kuh, ein Kamel, und so etwas hat einen guten, schottischen Namen! Ach was, einmal ein Vieh, immer ein Vieh!“


Cleo hatte, erschlagen vom tsunamiartigen Ansturm dieser Wortgewalt, verzweifelt die Luft angehalten, atmete tief ein und Mahony, der zwischenzeitig seinen Brustkasten auch wieder vollgepumpt hatte, röhrte wieder los.


„Hatten Sie die unfassbare Frechheit, Officer, vielleicht auch noch etwas sagen zu wollen?“


Nachdem er seltsamerweise zwei Sekunden schwieg, Cleo dafür mit einem Blick durchbohrte, der durch den Mount Everest glatt einen Tunnel gebohrt hätte, flüsterte sie, völlig verschreckt:


„Nein, Sir, nein! Ich habe nur etwas Luft zum Überleben gebraucht!“


„Überleben? Überleben? Sie, Officer, wollen hier überleben? Hier kann von uns beiden nur einer überleben, und das werde ich sein!“


Das ist wahre Größe! So schreibt man sowas!


Was sind dagegen Ich und Überich! Diese Archaismen aus der längst vermoderten Trickkiste freudscher Seelenklemperei soll der Kowidl Ferdl holen.


Ich stand vergnügt auf und und dachte völlig unmotivert: Und dann bedenke man ja auch: Der Mensch kann in der Nase bohren, das unterscheidet ihn vom Kamel. Aber es nähert ihn dafür bedenklich dem Affen an!


Ha, das ist zwar nicht der Weisheit letzter Schluss, aber das versteht jeder Halbschimpanse, den ich nicht beleidigen konnte!


Nachsatz: Die obige Schimpfkanonade habe ich mir selbst geklaut! Nachzulesen in meinem Krimi „Cleo McLeod sieht rot“


Rudi Reblaus

2.

VIERECKIG


In der rechten oberen Ecke des Fensters, durch einen Sprung in der Scheibe gequert, stand der Vollmond. Er war viereckig. Seltsam, dachte sie, ein einziger Joint kann so kosmische Auswirkungen haben, hätte ich nie geglaubt, na ja, da waren auch noch diese Tabletten, aber rund wie die waren, ich weiß nicht, es war sicher der Joint.


Sie trat einen Schritt zurück und spürte, dass sie etwas Schweres in ihrer rechten, an ihrer Seite herabhängenden Hand hielt. Sie hob den Arm, das Ding kenne ich, dachte sie träge, könnte es sein, dass es der Revolver aus der Pfandleihe ist, da kann man alles kaufen, wozu ich einen Revolver brauche ist mir schleierhaft, den kann mir nur der alte Sam aufgeschwatzt haben, nachdem ich die zehn Gramm schwarzer Afghane bei ihm gekauft habe, so ein Arschloch, und ich habe das Ding auch noch gekauft, bei ihm kann man überhaupt alles kaufen, nur eine Oma im Rollstuhl nicht, hm, wenn man genug bezahlt? Aber wer braucht schon eine Oma im Rollstuhl, ich nicht, ich brauche auch keinen Revolver, hat er mir einfach aufgeschwatzt, mir wird schwindlig, da steht ein Fauteuil, ich sitze ja schon drin, das ging schnell, da lacht wer aber schon sehr blöd, und wo ist jetzt der Revolver? Er liegt am Boden, puh, ist mir schwindlig, den hat wer hinuntergeworfen, da waren noch zwei Schuss drin, und wer braucht die? Ein viereckiger Vollmond, der steht immer noch idiotisch sinnlos da oben im Fenster, schon wieder lacht wer, der Kopf dreht sich so knarrend, richtig ungeschmiert, drum sehe ich dieses Lachearschloch nicht, aber den Viervolleckmond, den sehe ich immer noch, der schleicht sich einfach nicht aus diesem Fenster, wenn man einmal sitzt, kann man nur mehr schwer aufstehen, überhaupt, wenn der Mond viereckig ist, ein Joint, mehr war es nicht, ein Afghane, die Amis, diese Idioten, die kämpfen dort, einrauchen sollten sie sich, zusammen mit den Taliban, und Ruhe wäre, aber nein, schießen müssen diese Vollkoffer, wo ist denn dieser blöde Revolver? Was man so alles zusammenkauft, wenn einem fad ist, aber Sam kann so schön reden, eine komische Türe, die da vorne, die ist auch viereckig, sehr komisch, und am Boden liegt eine Vase, also, Vasen stehen doch meist auf Tischen, aber die ist zerbrochen, na, das erklärt einiges, zerbrochene Vasen stehen selten auf Tischen, ob man durch eine viereckige Türe gehen kann, nur Mut, versuchen ist alles, da liegt einer auf dem Boden, der ist aber nicht zerbrochen, der ist pervers, der hat vier Löcher im Bauch, die sind alle rund, der ist tot, kann ich irgendwie verstehen, vier Löcher im Bauch, damit möchte ich auch nicht leben, auch ein Trottel, er ist tot und auf dem Tisch brennen vier Kerzen, was du nicht sagst, vier, hat ihm aber kein Glück gebracht, hallo, Champagner ist eingekühlt, Lachs und Gänseleber, also für Lachs und Gänseleber würde ich sterben, hihi, er auch, möchte mich interessieren, was das für Tabletten waren, so runde Dinger, hihi, auch vier, das muss eine Epidemie sein, da vorne auf der Kommode liegt ein Brief, wieso einer, es müssten eigentlich vier sein, Büttenpapier, mit der Hand beschrieben, der hat eine Schrift, wie ein Hahn am Mist, ist auch egal, tot wie er ist, den Brief habe ich doch heute bekommen, wieso liegt der hier, ha, ich weiß, weil er viereckig ist. Liebe Madelaine, ich liebe dich und werde dich immer lieben, das mit Marie war nichts, nur ein kleiner Kuss auf die Wange, komm heute Abend, versöhnen wir uns, es gibt auch Deine Lieblingsleckerbissen, Lachs und Gänseleber und natürlich Champagner, in Liebe Dein dich immer liebender Paul, der reine Kitsch, ob er daran gestorben ist? Na ja, Lachs und Gänseleber, eigentlich mein Ding, und erst Champagner, wo nur dieser blöde Revolver ist, eines ist sicher, er braucht ihn nicht mehr, ich auch nicht, da ist ja die Tür, wieso ist die offen? Klar, damit ich hinauskann, irgendetwas stimmt heute nicht, der Mond ist immer noch viereckig!


Dieses irre Ding habe ich aus der Sammlung „Streugut“ übernommen und in meinem Roman „Quasi una analysis vitae“ recycelt. Und jetzt „re-recycelt! Man sollte mit seinen Ressourcen immer schön pfleglich umgehen!


Rudi Reblaus

3.

DIE MORPHOLOGIE DES SCHWEINES


alles was Trog ist, ist Welt

nix Trog, nix fressen

aus einem fremden Trog frisst sich’s am besten


Law and order heißt die zeitlich unbegrenzte Aufrechterhaltung eines naturgegebenen Systems wie auch die Garantie seines reibungslosen Ablaufes, dessen gottgewollte Gesetzmäßigkeit zwei Klassen von Schweinen vorsieht. Die erste Klasse sind die Arbeits- oder Unterschweine. Dies ist diejenige Klasse, die dafür zu sorgen hat, dass genügend Fressen für die beiden vorhandenen Futtertröge, einer für jede Klasse, vorhanden ist. Sie erwerben sich durch ihre Arbeit das Recht der Nahrungsaufnahme, soweit diese das Maß der Arbeitskrafterhaltung nicht übersteigt. Diese erste Schweineklasse ist von der Natur durch eine entsprechende Arbeitskraft ausgestattet worden, und besitzt die, wenn auch mangelhaft ausgebildete Fähigkeit, sich untereinander verständigen zu können. Diese Kommunikation sollte füglich die Sphäre der Trogfüllungsarbeiten nicht überschreiten, kleine Ausweitungen sind gestattet. Ihre Mitglieder sind jedoch unfähig, sich der zweiten Schweineklasse verständlich zu machen. Dies ist jedoch ohne Relevanz, da die zweitklassigen Schweine im Sinne der naturgemäßen Aufrechterhaltung von Law and Order kein Interesse an einer systemstörenden Kommunikation aufweisen.


Während nun die erste Klasse an der Futterbeschaffung arbeitet, von der Natur zu nichts anderem bestimmt, ebenso mit ihrem Geschick zufrieden, da ihnen ja, dies ist allerdings ein nicht dem Naturgesetz entsprechendes Entgegenkommen der Zweitschweine, einmal die Woche eine erhöhte Futteraufnahme bis auf Widerruf zugesichert ist, schlagen sich die Zweitschweine ungehemmt und ebenfalls naturgewollt die Bäuche voll. Das ist deswegen jederzeit möglich, weil der Zweittrog immer randvoll zu füllen ist und kein Unterschwein, bei strengen Strafen, aus ihm fressen darf. Diese zweite Schweineklasse, die Oberschweine, die im Sinne des Schweinseins privilegierte, zeichnet sich durch erhöhte Schönheit, ein wohltönendes, einschmeichelndes Organ und große Überredungsgabe aus. Sie besitzen daher nicht nur die Fähigkeit zur einseitigen Kommunikation mit den Unterschweinen, es gelingt ihnen auch immer wieder, da sie sich ja auf die Naturgegebenheit ebenso aber auf Gottgewolltheit von Law and Order berufen können, diesen Zustand aufrecht zu erhalten. Allerdings werden sie im Laufe ihres Zweitschweindaseins immer fetter, von ihrem Rüssel ziehen sich tiefe Falten durch die gepolsterten Wangen bis herab zum Kinn. Die Schnauze krümmt sich abwärts, was ihnen einen Ausdruck von Verächtlichkeit und Überdruss verleiht. Die Augen, zwischen Fettpolstern verschwimmend, sehen stechend, bösartig und überheblich, all dies im Sinne dieser naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten, in die räumlichen Darstellungen des Law-and-Order-Systems, meist aber auf die Unterschweine.


Zwei weitere Naturgesetze seien noch erwähnt: So ist erstens, jedoch nach Anlage mehr oder minder stark ausgeprägt, in jedem Unterschwein der Drang vorhanden, sich eine unbeschränktere Futteraufnahme durch erhöhte Arbeitsleistung zu sichern. Zweitens sind die zweitklassigen oder Oberschweine durch den Instinkt gekennzeichnet, das unbeschränkte Fressrecht lediglich ihresgleichen vorzubehalten, was allerdings klasseninterne Beißereien um die besten Brocken nicht ausschließt.


Der Vollständigkeit halber muss noch erwähnt werden, dass es eine Möglichkeit geben soll vom Unterschwein zum zweitklassigen Schwein aufzusteigen. Die hier ebenfalls naturgewollten Gesetzmäßigkeiten sind, bis auf eine zu beobachtende erhöhte Bissigkeit, von der Wissenschaft, die sich mit der Morphologie des Schweines beschäftigt, noch nicht erforscht worden.


Dieses System hat sich als das beste erwiesen.


Zumindest für Schweine!


Gott erhalte es!


Diesen Text habe ich, long long ago, irgendwann einmal im Kulturteil (!) der alten Courage präsentiert. Das waren noch fröhliche Zeiten, da haben die Leute sich noch über einen solchen Text aufgeregt!


Heutzutage, im Jahr des Herrn 2022, wird eine Ärztin, die die Coronaimpfung durchgeführt hat, mit der Ermordung bedroht!


Aber nachdem in Gottes eigenem Land ja immer irgendwo eine Wahl ist… und natütlich hat auch dieses… da fällt Manni Maus nur mehr „Arpfs…xks43kxx/7)lo…rrt/chxyz… ein, also genau der und Seinesgleichen haben natürlich eine Stimme, die es zu hätscheln und vor allem zu erwerben gilt… da erinnere ich mich, frage mich keiner warum, an eine uralte Anekdote. Also: Das Café Central war der Hotspot der literarischen und journalistischen Welt, ebenfalls long long ago, und natürlich mochte sogar hier keiner keinen, es gab daher auch in dieser illustren Gesellschaft die üblichen Reibereien, Affinitäten und Ablehnungen und einen Herrn X, der so großkotzig mit seinem Pferd geprahlt hatte, dass er schon allen derart auf die Nerven gegangen war, dass eines Tages bei voll anwesender Mannschaft Herr Y als Herrenreiter verkleidet, Stiefel, Peitsche, Sporen etc., also das übliche Tralala, im Café Central auftrat und verkündete:


„So kein Pferd wie der Herr X habe ich noch allemal!“


Endeffekt: Watschenkampf und eine Duellaufforderung.


Kinder, das waren noch Zeiten!


Was ich damit sagen wollte?


GAW!


Gott allein weiß!


Reinhold Rabe


4.

NON SCHOLAE SED VITAE DISCIMUS


Natürlich hätte der erste Satz heißen müssen: „Ich habe Latein immer gehasst!“, aber da ist mir gerade noch rechtzeitig eingefallen, das wir, meine vier Geschwister und ich, völlig hassfrei erzogen worden sind. Ich kann mich an kein einziges Schimpfwort erinnern, das je gefallen ist, was heutzutage extremst unglaubwürdig ist und zu der seltsamen Reaktion geführt hat, dass ich das Wort „Scheiße“ so gut wie nie gedacht habe, und ausgesprochen habe ich es sicherlich zum ersten Mal frühestens in meinem ersten Job. Das hat dazu geführt, dass ich mich noch an den Satz erinnere „Man sagt nicht Schwarzer, das ist beleidigend, das heißt Neger“. Ebenso gab es keine negativen Bemerkungen über die Kriegsgegner, das Wort „Jude“ habe ich von meinen Eltern nie gehört, politische Sätze, auch solche nationalsozialistischer Färbung, waren „bei uns zuhause“ nicht üblich. Wir lebten wohlbehütet „vor uns hin“. Wir Kinder haben niemals auch nur die kleinste Verstimmung zwischen unseren Eltern bemerkt oder irgendeinen Streit gehört, auch mit uns ist nie wirklich geschimpft worden, es ist so gut wie immer bei Ermahnungen geblieben. Mein Vater hat für uns Kasperltheater gespielt, mit mir hat er gebastelt, hauptsächlich waren es Laubsägearbeiten, ich kann mich noch an ein wahres Monster von Segelflugzeug erinnern, das doch wirklich ungefähr zwanzig oder dreißig Meter weit hügelab im Wienerwald geflogen ist. Diese für heutige Begriffe extrem unfassbare und unverständliche „heile Welt“ änderte sich erst, als mein Vater zur Wehrmacht eingezogen worden ist. Aber die beiden Frauen, Mutter und Großmutter haben ihn dann eben vertreten. Mit dem ersten Bombenangriff hat unser Leben dann „seine Leichtigkeit“ für immer verloren. Im Luftschutzkeller neben den gepackten Koffern und neben dem zitternden und jammernden Rest der Hausbewohner zu sitzen, hat dann ein uns bis dahin unbekanntes Gefühl in unser Leben gebracht: Angst und die Furcht vor dem Tod, wobei das glücklicherweise ein schauriges Abstraktum geblieben ist, denn wir haben überlebt. Das alles hatte jedoch, schon wieder völlig unverständlich, auf die Art unserer Erziehung keinen Einfluss, denn die wesentlichen Verhaltensmaßregeln lauteten auch weiterhin, ohne sich je zu ändern: Nie lügen, immer folgen, schön sprechen und artig sein.


Um diese heile Zuckergusswelt, die letztendlich zerstört worden ist, zu erklären, fällt Manni Maus lediglich ein: „Ich kann mich zwar nicht erinnern, dass es anders gewesen wäre, aber hier muss mich meine Erinnerung täuschen! Das alles zu glauben, wäre reiner Schwachsinn.“


So schwachsinnig, oder eher widersinnig konnte, oder musste ich noch lange leben. Auch noch, als wir, nach dem finalen Bombenangriff, längst in Lustenau bei der Großmutter väterlicherseits gelebt haben. Weiß der Geier, wozu es gut war! Reinhold Rabe glaubt allerdings zu wissen, dass es mein Erwachsenwerden sehr gehandicapt, wenn nicht gar verhindert hat: Darum ist ja auch nichts Gescheites aus mir geworden. Sehr viel später folgte in Fürstenfeld, wohin es uns dann verschlagen hatte, eine andere Vorgeschichte und der Beweis: Ich wollte nach der Matura, die ich in Bregenz absoviert hatte, Deutschprofessor werden, mein Stiefvater (unsere Mutter hatte sich in der Zwischenzeit von unserem aus der russischen Gefangenschaft zurückgekehrten Vater scheiden lassen) wollte, dass ich Jurist werde, haben wir eben einen Kompromiss geschlossen: Ich bin beides nicht geworden!


Ein kleiner Einschub, Latein betreffend, wäre noch ergänzend anzuführen. Meine Mutter hatte mich, nachdem ich schon etwa eineinhalb Jahre Gymnasium in Traiskirchen hinter mir hatte, in Bregenz in eine obskure Schule gesteckt, so etwas wie Hauptschule für Grenzdebile. Wir waren etwa fünfzig Stück, in einen ungeheizten Raum gepfercht, frage mich keiner, was wir hätten lernen sollen. Dann durfte ich in die zweite Klasse des Humanistischen Gymnasiums gehen, auch hier ist es mir absolut unverständlich, wie das alles abgelaufen ist. Die Sache hatte allerdings einen Haken: Ich musste nach dem ersten Trimester voll im Schulbetrieb mithalten können. Also alles bis dahin zu Lernende war von mir zu beherrschen! Und das in allen Fächern! Nachhilfe? Gab es damals gar nicht, ich glaube sogar, dass es dafür noch gar kein deutsches Wort gegeben hat! Es war also do it yourself gefragt. Meine Mutter hat sich nicht weiter um mein Fortkommen interessiert und in der Schule wurde mir von den Profaxen lediglich erklärt, dass ich halt ordentlich beim Unterricht aufpassen sollte. Ab diesem Punkt ist bei mir jede Erinnerung auf tilt gestellt. Was ich gemacht habe, blackout, was ich gelernt hatte, keine Ahnung, wie ich gelernt habe, kein Plan! Bei der ersten Schularbeit im zweiten Trimester war ich voll dabei. Natürlich waren die Noten kläglich, außer in Deutsch, da war ich ab da das große As. Ich war nicht gerade der Klassendodel, die waren ein Jahr später schon alle ausgeschieden, aber in Mathe, Latein und Altgrichisch hatte der Sensenmann sein Gerät so gut wie immer probeweise geschärft! Und das hat er die ganze Gymnasialzeit eiskalt durchgezogen! Auch das hat bei mir, schon wieder diese erheiternde Unverständlichkeit, kein wie immer geartetes Trauma, kein Minderwertigkeitsgefühl, aber schon so gar nichts Negatives ausgelöst. Ich war geradezu das Paradebeispiel des „tumben Toren“, der wie Till Eulenspiegel durch diese brutale Ausformung der Realität kichernd taumelt, ohne irgendwo anzustoßen. Oder: Der liebe Augustin, der besoffen in die Pestgrube fällt, sich herauswurschtelt und überlebt!


GAW, was sich da wirklich abgespielt hat?!


Muss man wirklich alles verstehen?


Wenn man bedenkt, welche idiotischen, verqueren, vertrottelten Antworten darauf schon gegeben worden sind und wenn man jetzt all die intelligenten, wissenschaftlichen, erleuchteten Erklärungen auch noch dazurechnet, Schreck lass nach, dann…


Abschließend sei noch angemerkt, dass das Geschick einen Abgesang ausgeheckt hat, der tröstlich gewesen ist, alles wieder ins Lot gerückt hat, der natürlich ebenfalls schon wieder unglaubwürdig ist. Erstens: Mathematura verflitzt, Nachprüfung gelungen. So weit, so gut, aber dann: Der Hammer, die Sensation, die nicht zu übertreffende Einmaligkeit! Vorprogrammiert war das klägliche Versagen in Latein und Altgriechisch, aber „siehe Till Eulenspiegel und lieber Augustin“!


Professor Lässer, sein Name sei in guter Erinnerung genannt, hat erklärt, dass er natürlich über den Ausgang dieser beiden Arbeiten nichts sagen darf, aber es kann ihm keiner verwehren, dass er an uns vorbeidefilieren kann und Blinzeln heißt positiv, rechts für Latein, links für Altgriechisch. Er begann in der vordersten, rechten Bank. Wir drei ersten Delinquenten starrten ihn wie das verkörperte Unheil an, wer der Erste war, weiß ich nicht mehr, zwei Blinzler, dann kam Längle, Leggus genannt, dran, zwei Blinzler. Dann verharrte er vor mir wie Thor, der den Hammer zum Wurf erhebt, sah mir tief in die Augen, schüttelte mehrmals ungläubig den Kopf, blinzelte rechts, mir rumpelte der halbe Mount Everst vom Herzen, dann sagte er, immer noch verblüfft: „Wie hast du das gemacht?“, dann folgte der linke Blinzler!


Nachzutragen wäre, dass der altgriechische Text mit jeder Tragödie, und sei er auch noch so schwer wie Oidipous Tyrrannos im Original, hätte konkurrieren können. Er bestand aus zwei ungeheuren Satzmonstern, die fein säuberlich von einem Satzwinzling getrennt waren. Ich las das Ding durch, es kam mir nicht spanisch vor, nicht einmal altgriechisch, ich verstand auch nicht einmal Bahnhof, sondern nichts! Nix, nix, nix! Nach etwa einer halben Stunde gab ich es auf, irgendetwas verstehen zu wollen und hob verzweifelt meinen Blick. Allen anderen schien es wie mir ergangen zu sein, denn es hatte sichtlich noch keiner mehr als einige Worte auf seinen Zettel geschrieben. Ob mich irgend ein erleuchtender Musenkuss gestreift hatte, weiß ich nicht mehr, aber ich beschloss damals, dass dieser Winzling, der leicht zu übersetzen war, aber inhaltlich sinnlos zu sein schien, das „Sesam öffne dich!“ darstellte.


Endeffekt: Drei der fünf Vorzugsschüler hatten einen Fleck geschrieben, ich einen Dreier!


Das beste jemals von mir erreichte Ergebnis!


Schlussendlich ist noch Folgendes abschließend hinzuzufügen:


Nota bene (merke wohl): Ich muss endlich einmal darauf achten, dass dieser Manni Maus, wenn er wohlüberlegt und literarisch bedeutsam agieren will, sofort an die kurze Leine gelegt werden muss, denn sonst versinkt er im Sumpf seiner unreflektierten, verschwurbelten, die wahren Ereignisse meist kühn missachtenden Erinnerungen. Wie gerade wieder einmal geschehen! Ich hatte niemals die Absicht, Obiges zu verfassen, aber nachdem ihn Rudi Reblaus augenzwinkernd hat gewähren lassen und Reinhold Rabe, das einzige echte Kontrollorgan, wieder einmal zur Unzeit im Klo verschwunden ist…


Ach was, demnächst auf ein Neues!


5.

HWOW

Healing the world by Olympic Wargames


Im letzten Jahrhundert wurde zweimal in einer Versuchsreihe ausprobiert, ob es möglich wäre, Europa und noch einige andere Teile der Welt großteils zu zerstören. Es hat sich erwiesen, dass es jederzeit machbar war. Wir erleben gerade, dass eine pseudomenschliche Figur, die man mit Hitler, Stalin, Mao Tse Dong und ähnlichen Monstern vergleichen kann, wieder einmal versucht, ob es nicht doch noch ein drittes Mal funktionieren könnte! Soweit die Realität!


Nachdem die menschliche Geschichte aber unwiderleglich bewiesen hat, dass wir ohne immer wieder extremst ausufernde Gewaltorgien nicht auskommen können, sollten wir wenigstens den Versuch starten, ob man diese suizidäre Sucht nicht etwas verharmlosen könnte. Uns ist hier eine Möglichkeit eingefallen, wie es vielleicht doch machbar wäre.


Diese Möglichkeit besteht in HWOW, Healing the world by Olympic Wargames! Die Spielregeln sind einfach: Wir lassen alle vier Jahre in der Wüste Gobi oder in der Sahara, oder wo auch immer, Mannschaften aus der ganzen Welt gegeneinander antreten. Auswahlmodus wie im Fußball, aber anstelle der zweiundzwanzig Hanseln, die auf einem Minirasen umherirren und der Kugel, welche die Welt bedeutet, sinn- und zwecklos hinterherrennen, sind es hier je tausend Mann, oder auch dreitausend, oder zehntausend pro qualifizierter Nation, das wäre alles nur eine Frage der Kosten. Es gibt drei Kategorien, Nummer eins: Kampf Mann gegen Mann mit Steinzeitbewaffnung. Was für ein Spaß, wenn sie sich da die Keulen und Steinäxte auf die butterweichen Birnen knallen. Nummer zwei: Ritterheere. Das fetzt schon besser! Einige tausend in Eisen verpackte Knechte krachen gegeneinander, hauen sich die Morgensterne um die Ohren, rammen sich Dreimeterlanzen in den Bauch, Bihänder wüten, einfach kosmogeil! Aber dann, der Oberheuler, die Königsdisziplin: Hightech -Bewaffnung. Napalm ist natürlich erlaubt, chemische und biologische Waffen nicht, das wirkt zu schnell und die Toten machen auch nichts her, kein Blut, keine abgehauenen Gliedmaßen, keine zerfetzten oder verschmorten Körper, das Bisschen verzerrte, blaue oder grüne Gesichter, auch in Nahaufnahme, zeigt doch nicht so recht die Härte des modernen Überlebenskampfes.


Die Sponsoren werden Schlange stehen, ein Megafressen für die Werbung, der Straßenfeger aller Zeiten, das Kosmo-Megaevent. Der gesamte Globus wäre involviert! Weltmeisterschaften könnten ebenso wie Europa-, Afrika- und Asienmeisterschaften ausgerichtet werden.


Wer von dieser supergeilen Idee schockiert sein sollte, wird freundlich ersucht, über die Vorteile dieser megageilen Innovation noch einmal nachzudenken! Denn anstatt Abermillionen von Toten, der Zerstörung ganzer Länder wären vergleichsweise nur eine verschwindend geringe Anzahl an Toten zu beklagen, die ja, als sie noch lebendig waren, fürstlich bezahlt worden sind!


Zu meiner Verblüffung, ich war von meinem Einfall, wenn nicht gerade begeistert, so doch sehr angetan, waren meine drei Alter Egos darüber so empört, dass sie in den Streik getreten sind. Der grundlegende Tenor ihrer Ablehnung hieß: Irgendwo muss sogar für einen Herrn namens Sascha eine Grenze sein.


Zur Versöhnung habe ich einige harmlose Zeilen folgen lassen:


Zugegebenermaßen ist der Versuch zu schockieren nicht mehr sonderlich effizient, es gibt nur mehr wenig, was den guten Bürger geifern lässt: Wenn sein Lieblingsparkplatz verstellt ist; wenn ein anderer den anvisierten freien Parkplatz okkupiert; wenn ihm der Vorrang geraubt wird; wenn ihn einer nicht überholen lässt; wenn sein Handy nicht funktioniert; wenn der Fernseher eingeht; wenn das Bier teurer wird; wenn die Zigaretten teurer werden; wenn irgendjemand, wer auch immer, ein teureres Auto besitzt, teurer urlaubt, eine bessere Stellung hat. Kurzzeiterregungsträger gibt es en masse: die Ausländer, die Politiker, Kinderschänder, Kindermörder, die Giftler, die Künstler; dann natürlich überhaupt alles, was sein Verständnis überschreitet; die heutige Jugend; die Bauchfrei-Brustraus-Mode; die Tätowierten, die Sozialschmarotzer; schon wieder die Ausländer, andere Verbrecher; immer noch die heutige Jugend; seine Frau; ihr Mann etc.


Na ja, zumindest Manni Maus war besänftigt, die beiden anderen zieren sich noch!


Sollen sie sich kränken! Das überlebe ich auch noch!!


6.

WAS IST KUNSTFÖRDERUNG?


die Gans mit den goldenen Eiern

Esel streck dich!

non olet

Bitte das deiner Meinung nach Zutreffende anzukreuzen.


1. Verantwortungslose Geldverschwendung durch eine verschwindend kleine, großsprecherische und verlogene Minderheit, die eine verbitterte, desinteressierte und wehrlose Mehrheit durch ihre Macht vergewaltigt.

2. The swamp-variation of black malefactus irrationalis.

3. Die Vergoldung der Hochfrequenzschreier und Taktstockakrobaten in Oper und Konzert als Akt hehrer, wenn auch teuer bezahlter Demut vor der Größe unserer abendländischen wie auch einzig und allein wahren Kultur wie auch als Postensicherung für sonst nicht brauchbare Ministerialbeamte und Gewerkschaftsfunktionäre.

4. Sklavenhaltung mit gestohlenem Geld.

5. Teure Aufzucht und noch teurere Besoldung des botmäßig Mittelmäßigen.

6. Die daimoterotische Abart des Hero-as-Hanswurst-Syndroms.

7. Die Bezahlung von Hofschranzen, Clowns und Hofnarren durch die Kaste der Proletduodezpolitfürsten.

8. Die Verschleuderung von Steuermilliarden für Kunstprodukte im weitesten Sinne, die außer einer selbsternannten Elite keiner will und deren künstlerischer Wert den Tag des Ankaufes nicht überlebt.

9. Der geglückte Versuch, Künstlern Charakter, Ehre, Suche nach Wahrheit und Eigenverantwortung abzukaufen.

10. Eine Lebensnotwendigkeit, ohne die wir alle nicht leben könnten.

11. Eine Vorgangsweise, die uns noch in fernen Jahrhunderten den Ruf der kulturell Interessiertesten und Verständigsten der gesamten Menschheitsgeschichte eintragen wird.

12. Money furt in ars.


Angst vor polit. Verfolgg., unqualif.Beschimpfg., berufl. Mobg. muss nicht befürchtet werden, da dieser Test nicht der Unterschriftensammlung für ein Antikunstförderungsvolksbegehren dienen soll.


Die Kunstgeförderten, die sich empört haben, mögen einfach auf die ihnen zu nahetretenden Punkte spucken.


7.

SPIRITUALITÄT, HEUTIGE


dies dei

Geist, zumal in flüssiger Form...


„I glaub jetzt scho mittlaweile langsam an Gott a wieda!“


„Gnosis?“


„Na, b’soffn!“


day of fools

nox diaboli


Das ist ein Lokal, wo man sich trifft. Man sind alle, die an Weltschmerz, Weltverachtung und Weltekel leiden; dazu noch alle, die an nichts leiden, außer an sich selbst; dazu noch alle, die an nichts glauben oder an etwas anderes, sei es inexistent, über den Wolken thronend oder auch nur zwischen den Zeilen vermerkt: Alle aber glauben, dass es am besten ist, dieses Etwas in flüssiger Form zu sich zu nehmen.


das hat unser Papst nicht gesagt!

oder: Bubblegum tuts auch!


Wenn heutzutage von Mystik gesprochen wird, so ist damit lediglich gemeint, dass es heilsfördernd sein könnte, während der Sonntagsmesse nicht einzuschlafen.


Matthäus 6,24

oder: Tradition, noch dazu lukrativ...


Der Glaube, dass das Herumreichen des Klingelbeutels ein besonders heilskräftiges Sakrament sei, muss beim einfachen Volk weitverbreitet sein, anders ist es nicht zu erklären, dass sich ein Großteil der sonntäglichen Kirchenplatzsteher wenigstens diesen heiligen Akt von der Kirchentüre aus nicht entgehen lässt



modern times

zickezackezickezacke

Muskel statt Wanst

„Effeffeffeff!“


„?“


„Turnvater Jahn! Er hatte schon den totalen Durchblick: fixed food and foolish fuck!“


Das hat Reinhold Rabe in der Textsammlung „Streugut“ gefunden und ausgegraben. Die beiden anderen haben ihm dabei erheitert kichernd über die Schulter gesehen.


Ich habe mich allerdings dann doch bemüßigt gefühlt, eine Zusatzinformation zu liefern, ohne die der Gag heutzutage nicht mehr zu verstehen ist. Turnvater Jahn (1778-1852) war ein Pädagoge, der die deutsche Turnbewegung ins Leben gerufen hatte. Seine Absicht war es, die deutsche Jugend auf die mögliche napoleonische Besetzung vorzubereiten. Sein Motto war (zum besseren Verständnis mein eigener Einschub: Der deutsche Turner sei…) frisch, fromm, froh, frei!


8.

VERSUCH ÜBER DAS HEIMATGEFÜHL DES S.G. P.T. HRN. PETER STRASSER


In der Kleinen Zeitung stand am 5.11. 22 im „Essay am Samstag“, von obigem S.G.P.T. Herrn P.S. berichtet, dass man sich in der E.U. Gedanken über Heimatliebe, Heimatverbundenheit, Heimatgefühl und Stolz auf die Heimat macht. Ein Großteil der in den dafür zuständigen Gremien teuer Bezahlten verwechselten als gelernte Gutmenschen, man kann nur sagen „natürlich“, (Preisfrage: Wie könnte es auch anders sein!), redlich, wie auch weidlich, mehr oder minder verbissen, schlampig oder aus Dummheit die vorgenannten Gefühle mit einem engstirnigen, übersteigerten, oder gar aggressiven Nationalismus. Es versteht sich ebenso, dass diese Herrschaften von den Völkern der Nettozahler wie auch Nettokassierer erwarten, eigentlich ja fordern, diese oben erwähnten, die Heimat betreffenden positiven Gefühle zu unterdrücken und durch einen vagen, künstlich erfundenen Verbundenheits-Gefühlseinheitsbrei einer stumpfen, entseelten Menschenmasse zu ersetzen.


Logisch und verständlich, die Kasten der Herrschenden haben immer schon so gedacht, denn jede will lediglich dreierlei: Abzocken, Pfründen erwerben und verteilen, ohne gestört zu werden herrschen. Das gilt für jede Herrschaftsform, von der Demokratie bis zu den Gewaltherrschaften dieser unserer Welt.


Das kann man mit einem Achselzucken abtun, denn man selbst kann Anschauungen dieser Art nicht verhindern, ebenso hat man aber zum Glück bei uns immer noch die Möglichkeit, sich wie ein vernünftiger, mit positiven Gefühlen gesegneter Mitmensch zu verhalten. Herr P.S. hat sich dann jedoch des Weiteren zu Wort gemeldet und das liest sich dann so:


„Trotzdem darf und sollte Österreich mit seiner Verstrickung in den Hitler-Faschismus hier nicht danebenstehen.“


Einleitend sei erheitert vermerkt, dass diese Sentenz für einen Philosophen, wenn auch emeritiert, in eher schlampigem Deutsch hingeschludert wurde. Dann muss allerdings bereits mit aller Schärfe dagegen protestiert werden, dass wieder einmal von einem Mitglied der gutmenschelnden Intelligentia ein ganzes Volk, also jeder einzelne Österreicher, beginnend beim Säugling bis hin zur Mindestrentnerin und einem Mindestrentner, die Menschen mit Behinderung nicht zu vergessen, in den Dreck gezogen, als intellektuell minderwertig, stiernackig unbelehrbar und verbrecherisch hingestellt wird.


Denn anders ist jeder, der immer noch dieser Ideologie anhängt, nicht zu bezeichnen!


Ebenso muss in aller Deutlichkeit nochmals behauptet werden, dass blindwütige Verallgemeinerungen dieser primitiven Art eines vernünftigen und intelligenten Menschen unwürdig sind und daher stricktest abzulehnen sind!


Gleichgültig, ob sie von einem Philosophen oder einer Frau Jelinek getätigt werden! Wobei anzumerken wäre, dass feinere Differenzierungen ja wohl eines der Kennzeichen eines Philosophen sein sollten.


Ich habe mich in meinem Roman „Quasi una analysis vitae“ auch zu dieser Problematik geäußert.


ANIMA MEA

COR MEUM

PATRIA MEA


Meister Eckhart, Katharina von Genua, Rabi’a al-Adawiyya, Rumi, Halladsch, Ibn Ruschd, Heraklit, Baal Shem Tov, Anagarika Govinda; Nietzsche, Friedell, Spengler, Dostojewskij, Tolstoi, Kleist, Tucholsky, Kraus, Mozart, Bach, Monteverdi, Charlie Parker, Breughel, Kandinskij, Rembrandt, Michelangelo und dutzende andere

das ist meine einzig wahre seelisch-geistige Identität!


Das ist nicht Europa!


Das ist Abendland!


Immer noch!


Es gibt keine europäische Identität! Wer identifiziert sich schon mit einer Landkarte!

Aber: Ein Tannen-, Buchen- , Eichenwald; der erste Schnee; der erste Amselgesang; die erste Schwalbe; Fliederblüte; Ostern, Weihnachten; die Hügel der Ost- und Südsteiermark; Berge; der Steffl, meine Muttersprache und tausende andere Dinge – da ist mein Herz zuhause, das ist Heimat.

P.S.: S.G. P.T. bedeutet Ao.Univ.-Prof.I.R. Dr.phil. des Hrn.P.S.

Ehre wem Ehre gebührt!


9.

DREI AFFEN UND DREIMAL GEHEIMNISVOLLE ZAHLEN


Zugegebenermaßen bin ich ein sehr flüchtiger Zeitungsleser, es könnte daher sein, dass mir folgende wissenschaftlich fundierte Informationen entgangen sind:


Wie viele Impfverweigerer sind an Corona erkrankt, wie viele sind daran gestorben, Prozentsatz der Gestorbenen. Wie viele Geimpfte sind an Corona erkrankt, wie viele sind dennoch gestorben, ebenfalls Prozentsatz der Gestorbenen. Zusätzlich die Zahlen über die Langzeitfolgen bei den Genesenen der Verweigerer und der Geimpften und ebenfalls die vergleichenden Prozentsätze.


Ich ersuche höflich um Nachreichung dieser mich doch interessierenden Informationen!


Könnte es aber dennoch möglich sein, dass Politiker wie auch die für die Weiterleitung dieser Informationen zuständigen Medien die drei Affen gespielt haben: (auf gut Österreichisch) nua net hinschaun, nix höan, und Maul halten!


Manni Maus hat da feixend mitgewirkt!


10.

DREI FRAGEN AN RADIO ERIWAN


Erste Frage: Kann es sein, dass in unserer ansonsten wunderbaren Heimat ein Großteil der Bevölkerung an Folgendem kränkelt: Erstens an einem erschreckendem Mangel an Vergeistigung und Spiritualität. Zweitens an einer unfassbaren Unfähigkeit, zumindest einige Zeichen der Zeit zu verstehen und zu beachten, als da zum Beispiel sind Umweltverschmutzung und -zerstörung, zu rabiates Gieren nach der Zuwachsrate, totale Medienabhängigkeit, kollabierender Konsumwahn?


Antwort: Im Prinzip ja, aber bedenke, dass jeder entweder so viele Ausreden findet, dass er davon überzeugt ist sich zweifelsfrei richtig zu verhalten, oder dass er so blöd ist, oder auch nur zu faul, einmal über ein richtiges Verhalten nachzudenken!


Zweite Frage: Könnte es nicht doch sein, dass viele Menschen heutzutage, getreu der alten Weisheit ‚wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen‘ eine vertieftere Weltsicht zu erlangen vermögen?


Antwort: Im Prinzip ja, aber bedenke, das der größte Prozentsatz dieser Reisenden, um nur einige Beispiele zu bringen, folgenden Betätigungen huldigt: Sich in Tschaorle in der Sonne zu rösten und sich um den besten Liegeplatz zu raufen; sich in Mallorka in der Biermeile sinnlos besinnunglos zu saufen; in irgendwelchen Bergen in Endlosschlangen vor den Liften zu warten, einstens schöne Almweiden und -wiesen auf Kunstschnee so zu bevölkern, dass eine abwärtsrasende, ineinanderverknäuelte Masse entsteht, die hauptsächlich damit beschäftigt ist, die Spitäler mit Sportunfällen zu füllen und der Skiindustrie wie auch Hotelerie zu Milliardengewinnen zu verhelfen; von einem Kreuzfahrtschiff hordenartig ausgespieen zu werden, einen der Kulturorte diese Welt zu durchtrampeln, große Kulturschätze verständnislos zu beglotzen, um dann zuhause stundenlang über das wunderbare Buffet auf dem Vergnügungsdampfer zu schwärmen und über den Rest dümmlich zu schwadronieren.


Dritte Frage: Könnte es sein, dass Ihr mit euren Antworten ungewöhnlich unfreundlich und geschwätzig wart?


Antwort: Im Prinzip ja, aber bedenke bitte die Wahrheit des Spruches: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über! Dennoch: Wir versprechen Besserung!


11.

ARJUNA MEETS AMIR HAMZA


Gestern ferngesehen. Heute vor dem Mausimax sitzend, bin ich mit folgendem Gedankensalat konfrontiert:


Susi geht auf „arte“ und findet eine Doku über das javanische Puppentheater. Wir sehen Szenen aus dem in Westjava üblichen Wayang golek purva, der ältesten Spielart, in der Geschichten aus dem Ramayana und Mahabharata erzählt werden. In Ostjava wird vermehrt das Wayang golek menak gespielt, das von Geschichten handelt, die Erlebnisse des Onkels Mohammeds, Amir Hamza, sind. Seltsam, das ist ein islamischer Staat und da werden uralte Hindugeschichten erzählt. Mach das einmal in Saudi Arabien, du musst froh sein, wenn sie dir nicht die eine Hand, mit der du die Puppen führst, einfach abhacken! Eigenartig, das Spiel kommt wahrscheinlich aus China, um siebzehnhundert herum. Tja, da waren die Chinesen auch noch eine Kulturnation, meilenweit von einer Kulturrevolution entfernt!


Erst jetzt fällt mir auf, dass im ganzen Film nicht ein einziges Handy, kein einziger Computer oder Laptop und auch kein einziges Radio zu sehen war. Nicht einmal eine Uhr an irgendeinem Handgelenk. Natürlich waren bei den Aufführungen auch in Westjava Frauen und Männer getrennt, es war aber nirgendwo eine verschleierte Frau zu erkennen. Bei den bis zu sieben Stunden dauernden Aufführungen waren sogar sehr sexy geschminkte junge Frauen als Sängerinnen zu sehen. Überhaupt ist dieses Puppentheater so volkstümlich und so weit verbreitet, dass ganze Volksschichten daran beteiligt sind und auch damit ihr tägliches Brot verdienen. Zuerst einmal natürlich die Puppenspieler, deren einige echten Kultstatus besitzen und die auch sehr gut verdienen, dann die Musiker, die Kunsthandwerker, die das Leder für die Puppen erzeugen, die Puppen müssen ja auch hergestellt werden, einer der Spieler hatte sechshundert davon. Weiß der Geier, was da noch alles damit verbunden ist, zum Beispiel diejenigen, die für die Versorgung der hungrigen Mäuler zuständig sind, die sieben Stunden lang hungern und dürsten. Das alles ist, sogar vom Staat teilweise mitfinanziert, wirklich „Kunst ins Volk“, eigentlich ja „Kunst, die aus dem Volk entsteht“, weil sie zutiefst in der Seele des Volks ihre Wurzeln hat. Und das heute noch!


Mahabharata Sanskrit, Onkel Amir Arabisch, alles fein säuberlich ins Javanische übersetzt und in der Folge durch die Textimprovisationen der Spieler dem einfachen Volk verständlich gemacht. Das ist echt multikulti, aber nicht nur als Gedankenzombi dahinvegetierend, sondern als echtes Leben vorhanden.


Manni Maus hängt zwischendurch eigenen Gedanken nach. Zwei Priester treffen sich, long, long ago, so etwa um 1100, der eine spricht Mittelenglisch, der andere Mittelhochdeutsch. Jeder quasselt dem anderen einen Satz in der eigenen Muttersprache vor, jeder denkt sich: „Schreck lass nach, bei dieser Affensprache, die da zu hören war, kräuseln sich ja die Ohren nach innen!“ Was tun? Reden wir lateinisch, aber auf den schaurigen Akzent von dem anderen bin ich neugierig! Wenn ich bedenke, dass man als Kind mit dieser „toten“ Sprache gequält wurde, die einmal für einen ganzen Kulturraum, und darüber hinaus, die Lingua franca war! Und das, zumindest soweit es die Wissenschaft betrifft, teilweise noch bis in das siebzehnte Jahrhundert! Und erst im Zweiten Vatikanischen Konzil wurde Latein 1970 in der Messe abgeschafft!!


Reinhold Rabe beachtet MM einmal nicht kritisch, sondern eher unachtsam und vergesslich, weil ihm gerade wieder einmal verwundert eingefallen ist, dass irgendeine krude, krause, mannimausige Gesetzmäßigkeit herrschen muss, nach der einer bestimmten Sorte von Mitmenschen von Zeit zu Zeit ein neuer Empörungsansatz einfällt. Es handelt sich hiebei meist um Menschen mit erhöhter Intelligenz, meist akademisch betitelt, meist bestbesoldet, die diesen Empörungsansatz nicht nur intellektuell zelebrieren, meist in wohlklingelnde Worte gefasst, meist aber jedoch mit wildem Hassgeschrei, nicht nur meist, sondern immer mit Herabsetzung, Hohn, Beleidigungen Andersdenkender verbunden.


Rudi Reblaus hatte kopfschüttelnd mitgelesen, und hatte gedacht, dass sechsmal „meist“ in einem einzigen Satz literarisch unverträglich sei, aber was soll’s, wer glaubt, dass Kultur ohne kulturelle Aneignung überhaupt entstehen kann, ist einfach nicht mehr geistig up to date. Wo doch schon die Steinzeitmenschen von den Clevereren die Kupferherstellung geklaut haben. Und was wir selbst von den alten Griechen alles geklaut haben, eine so große Kuhhaut, dass da alles draufgeht, gibt es im ganzen Universum nicht! Zwei Beispiele sollten genügen. Ihre gesamte Philosophie, ohne die nicht einmal die Scholastik entstanden wäre. Dann natürlich die gesamte Bildhauerei. Stille Einfalt, edle Größe und das bei bunt bemalten Statuen und Tempelsäulen! Oder sollte ich da was verwechselt haben? Morgen werde ich das googlen!


12.

ZWEI WEITERE FRAGEN AN RADIO ERIWAN


Erste Frage: Ist es möglich, von der Existenz der Aliens überzeugt zu sein, ohne deswegen gleich als Guglhupfkandidat oder Verschwörungstheoretiker zu gelten?


Im Prinzip ja, aber bedenke, dass du dann der ganzen Meute derer gegenüberstehst, die zu faul oder zu desinteressiert sind, sich die existenten und unwiderleglichen Tatsachen zu suchen, die ohne Schwierigkeiten zu finden sind. Deren möglicherweise geifernden Anwürfen du daher ausgesetzt sein könntest? Es handelt sich um folgende Tatsachen (wir führen lediglich zwei der harmlosen Beweise an, so Interesse vorhanden sein sollte, Rest selbst suchen!): Die amerikanische Regierung hat bereits die Existenz der UFOS zugegeben. Und dann: Die chilenische Regierung besitzt eine eigene Institution zur Registrierung und Erforschung der Ufosichtungen.


Zweite Frage: Ist es möglich, ohne eine akademische Laufbahn eingeschlagen zu haben, ebenso ohne den Erwerb eines entsprechenden Titels, dennoch als Philosoph gelten zu können?


Im Prinzip ja, aber bedenke…


Halt, halt! Um Gottes willen! Ich verzichte auf eine Fortführung dieser Antwort wie auch auf eine dritte Frage!


13.

NOSTALGIE UND HEITERKEIT


Da hat Sascha mit seinen drei Kumpels, Manni Maus, Rudi Reblaus und Reinhold Rabe, ja einen fulminanten Start hingelegt und uns jede Menge Stoff zum Nachdenken und auch zum Schmunzeln und Kichern geliefert. Ich für meinen Teil werde hier mit etwas Nostalgie und einigen durchaus heiteren Geschichten aus der guten alten, leider schon längst vergangenen Standlzeit beginnen. - Und natürlich habe auch ich drei Freundinnen mitgebracht, die hier so einiges an Kommentaren abgeben werden: Mitzi Marple, Lisa Pumpernickel und Frau Dr. Hilga Eisenstein.


STANDLG’SCHICHTEN


Eine der vielen Facetten des menschlichen Lebens, die in unserer hektischen Zeit meist zu kurz kommt oder überhaupt nicht mehr gelebt wird, ist das fast vergessene Lebensgefühl der Heiterkeit. Das liegt daran, dass die meisten Menschen als Teil der „Spaßgesellschaft“ irgendeinem „fun“ nachjagen, der letztlich wiederum nur in Abgestumpftheit und Frust mündet, anstatt sich die Zeit zu nehmen, einmal durchzuatmen und ein wenig Gelassenheit zu tanken. Für die wenigen jedoch, die diese Dinge noch nicht vollends verdrängt haben und sich sehr wohl nach etwas Anderem sehnen würden, stellt sich meist das Problem, dass es beinahe nirgends mehr ein Ambiente gibt, in dem Heiterkeit und menschliche Nähe gelebt und erfahren werden können. Von einem dieser immer seltener werdenden Orte handelt dieses Buch, das in Kütze auch zu kaufen sein wird, eine Chronik manchmal ernster, meist aber lustiger, besinnlicher, skurriler, oft auch erstaunlicher, seltsamer und immer menschlicher Geschichten, die sich in unserem damaligen Stammlokal, im Ortweinstandl in Graz, zugetragen haben. Es war ein Treffpunkt der unterschiedlichsten Menschen, von Akademikern, Künstlern bis zu einfachen Handwerkern, und mit Franz, dem Wirt, waren und sind Sascha, mein Mann, und ich gut befreundet. Das kleine, achteckige Hütterl mit dem spitzen Dach steht heute noch, wenngleich es leider den Besitzer gewechselt hat, weil unser Lieblingswirt inzwischen schon längst in Pension gegangen ist. Es drängt sich aber immer noch keck zwischen die Modeschule am Ortweinplatz und das gegenüberliegende Haus und erinnert uns an viele schöne Stunden, die wir dort verbbracht haben. Seinen besonderen Charme verdankte es der Tatsache, dass es von Franz eigenhändig Brett für Brett, Nagel für Nagel gezimmert wurde, mit einem Fenster an jeder Seite, damit die Insassen des kleinen Etablissements an den Geschehnissen in der „Außenwelt“ jederzeit teilhaben konnten. An der Hinterseite hat Franz vor vielen Jahren, als er sein kleines Reich errichtete, einen Baum gepflanzt, der bald zu einem wohltuenden Schattenspender heranwuchs und ebenfalls noch heute steht.


Im Sommer waren links, rechts und an den Seiten der von einer Markise beschatteten Eingangstüre kleine Tischchen angebracht, die Schwalbennestern gleich an den Außenwänden unseres kleinen „Raumschiffs der Heiterkeit“ hingen und von jeweils einem großen blauen Sonnenschirm vor der manchmal allzu heißen Sommersonne beschützt wurden. Rund um das Standl hatte Franz aus Holz eine Art Miniveranda gebaut, auf der die dazugehörigen Hocker Platz fanden, die in der warmen Jahreszeit auch von uns gerne als „Beobachtungsposten“ benutzt wurden, um bei einem kühlen Bierchen dem bunten Treiben der Vorbeieilenden oder Einkehrenden zuzusehen. Vom vordersten Tischchen aus hatte man im Sommer zusätzlich noch einen schönen Blick auf ein Rosenbeet, dessen wunderbare rosafarbene Blüten Bienen, Hummeln und andere Insekten anlockten.


Im Inneren des Standls befanden sich zu beiden Seiten der Eingangstüre die „Andockplätze“ für die Gäste – kleine, gemütliche Tischchen, die am Abend von mit Blumen bemaltem Stoff überzogenen Lämpchen, die von der holzgetäfelten Decke baumelten, in warmes Licht getaucht wurden. Sascha und ich hatten seit undenklichen Zeiten unser „Stammbiwak“ rechts der „Einstiegsluke“ in einer schummrigen Ecke aufgeschlagen, von der aus man einen guten Gesamtüberblick über das Geschehen hatte. Dort hing in den Anfangszeiten auch ein von mir entworfener, handgezeichneter Standlkalender, in dem Männchen, Käfer, Bienen und viele andere phantastische Geschöpfe bald in buntem Reigen durcheinanderpurzelten, bald auf dem Kopf standen oder einander jagten und dabei allerlei Schabernack trieben; ich habe auch ganze Kalenderblätter in eine Herbst- oder Sommerlandschaft verwandelt, in der sich meine Helden dann tummelten. Für jeden Monat gab es ein eigenes Blatt mit dem Spruch des Monats, auf dem neben Wochenenden und Feiertagen vor allem auch Geburtstage vermerkt und mit roter Farbe hervorgehoben wurden, wobei ich mir gestattete, immer einen speziell für das jeweilige Geburtstagskind maßgeschneiderten Reim hinzuzufügen. Natürlich war jeder Stammgast erpicht darauf, in meinem Machwerk, das zusätzlich noch schön altmodisch mit Pinsel und Wasserfarbe per Hand coloriert wurde (also nix Photoshop, der war noch gar nicht erfunden!), vorzukommen, denn dann wurde im Standl ein großes Fest gefeiert und mit Sekt auf den Helden des Tages angestoßen. Leider fehlte mir später die Zeit, jeden Monat ein solches doch recht aufwendiges Blatt zu zeichnen, weshalb es dann eine „Kalender-Sparvariante“ gab, die aus einem einzigen Blatt für das ganze Jahr bestand, auf dem die jeweiligen Geburtstage des Monats eingetragen wurden, damit die Standlbesatzung – und auch wir – trotz allem nicht auf die gebührenden Feiern vergaßen.


Direkt an unseren Stammplatz anschließend, gegenüber der Türe, befand sich eine kleine von Franz höchstpersönlich aus Holz gezimmerte Theke, die den Gastraum vom Reich unseres Lieblingswirtes abgrenzte, in dem er, stets gute Laune verbreitend, dafür sorgte, dass die Gäste weder verhungern noch verdursten mussten. Neben Würsteln aller Art war Franz weithin berühmt für seine wunderbaren Wiener Schnitzel mit Erdäpfelsalat, dem, wie es sich in der Steiermark gehört, natürlich das Kernöl nicht fehlen durfte.


Jeder, der das Standl betrat, musste automatisch auf diese Theke zusteuern, um mit Franz zwecks Speisung und Tränkung in Verhandlung zu treten. Für kunstinteressierte Gäste war es jedoch nach Erhalt ihrer Labung ratsam, die guten Sitten einmal beiseite zu lassen und dem Wirt kurzfristig den Rücken zuzukehren, um den Blick sozusagen in die „Höhen“ des Standls zu richten, wo über der Türe und den beiden Seitenfenstern wohl die kleinste Kunstgalerie von Graz zu bewundern war. Hier stellten jene Mitglieder unserer Standlfamilie aus, die des Malens, Zeichnens und auch Objekte-Bastelns kundig waren. Es fand auch jedes Jahr im Sommer mindestens eine Woche lang rund um das Standl im Freien ein Kunstevent statt, wo unterschiedlichste und oft auch ziemlich verrückte Kunstwerke entstanden. Einer der Haupterfinder wie auch Protagonisten dieses Ereignisses war unser leider inzwischen verstorbener Freund Erwin Michenthaler, der als Bildhauer und Maler an der rechten Seite des Standls sein Stammbiwak aufgeschlagen hatte. Einmal knetete er auch Köpfe aus Ton, für die unter anderem auch Sascha und ich als Modell herhalten mussten. Franz hat „uns“ später auf einem Regal über unserem Stammplatz zum Trocknen platziert, wo wir uns selbst beim Auftanken von Heiterkeit, gekrönt mit dem einen oder anderen Schluck Bier, zuschauten. Später verpasste Erwin „uns“ in einen Brennofen sozusagen die „Feuertaufe“, damit die Skulpturen auch fest wurden und die klassische rötliche Färbung erhielten. Anschließend gab er uns die fertigen Kunstwerke mit nach Hause, wo sie jetzt noch auf einem Kastl vor dem Bett stehen und unserem täglichen Werken zuschauen. Natürlich zählten wir beide ebenfalls zu den Haupthelden dieser Events, nur bevorzugten wir im Gegensatz zu Erwin die linke Standlseite, wo die Äste von Franzens Baum uns davor schützten, an heißen Sommertagen von der Sonne allzu sehr durchgebraten zu werden.


Neben dem Malen und Bildhauern fanden im Standl hin und wieder auch andere Aktivitäten statt. So hielt Erwin beispielsweise einen Vortrag über die Geschichte der Bildhauerei, Sascha zeigte Linolschnitte von Frauenakten und sprach dabei über die Geschichte der Aktmalerei im Abendland und ich malte anschließend, sozusagen als Ergänzung, einige männliche „Nackerpatzln“, um zu zeigen, dass ein Akt nicht immer nur weiblich sein muss.


Natürlich fanden bei Franz auch Ausstellungen zahlreicher anderer Künstler statt, unter denen Antoine wohl eine der bemerkenswertesten Erscheinungen war. Mit weit über neunzig war er der älteste Künstler, der je seine Werke hier zeigte, ein winziges hutzeliges Männchen mit hellwachen Augen, das sich fast auf die Zehenspitzen stellen musste, um seine weiße Mischung auf Franzens Theke zu erreichen. Seine Spezialität waren Aktfotos ganz junger Mädchen, denen er seine nach einem speziellen, von ihm selbst entwickelten Verfahren hergestellten Arbeiten zeigte und sie anschließend fragte, ob sie nicht Lust hätten, sich einmal von ihm fotografieren zu lassen. Die meisten von ihnen sagten zu und gingen mit dem Kleinen mit, sei es um eine Freundin zu ärgern und zu zeigen, was man sich alles traut, oder auch um den Freund ein bisschen eifersüchtig zu machen, oder einfach um sich selbst einmal nackt zu sehen. Soweit ich weiß, kam Antoine niemals einem seiner Modelle zu nahe, er wäre wahrscheinlich über den bloßen Gedanken daran zutiefst erschrocken. Als Sascha und ich heirateten und wir diesen kosmischen Tag bei Franz gebührend feierten, war er auch eingeladen und machte mir eines seiner Angebote, er meinte Sascha solle doch auch mitkommen und bei der Arbeit zuschauen. Dass ich nicht zugesagt habe, ärgert mich fast ein bisschen.


Es ist schon seltsam, welche genialen Einfälle hier das Licht der Welt erblickten. Sascha bastelte zum Beispiel einmal eine Reihe von ca. 2 ½ m hohen Objekten, Mischformen zwischen Totempfahl und Fetisch, die hauptsächlich aus Holz und Nägeln bestanden und zusätzlich noch mit bunten, abstrakten Mustern bemalt waren. Ein andermal zeigte er einige seiner Frauenakte als Sprühbilder, während ich kleine Schneckenhäuser bemalte und als lange Schnur quer durch das Standl spannte. Einige davon habe ich an eine Frau verkauft, die oft am Standl vorbeigekommen und manchmal auch eingekehrt ist. Sie hat sie als Schmuck um den Hals getragen – eine sehr originelle Idee! Eines Tages kam Franz auf die wunderbare Idee, ich solle doch einmal sein Fahrrad in ein Kunstwerk verwandeln. Die ganze Sache artete dann allerdings in eine pointilistische Sisyphosarbeit aus, die mich die ganze Woche auf Trab hielt, denn ich hatte mir leider in den Kopf gesetzt, das ganze Vehikel mit winzigen bunten Pünktchen zu verzieren, wobei am vorderen Kotflügel auf Wunsch meines sehr verehrten Auftraggebers auch noch ein Schneckenhäuschen angebracht werden sollte, das ich natürlich ebenfalls mit winzigen Tupfen versehen musste. Dass ich dabei nicht verrückt geworden und als „Rosine“ im „Guglhupf“, sprich bei den „Narrisch’n“, gelandet bin, ist nur der guten und pünktlichen Versorgung mit dem einen oder anderen Schluck wohlgekühltem Bier zu verdanken!!


Diese heroische Glanztat wurde am Ende auch noch mit viel Applaus und einer Labung der Künstlerin durch den Wirt mit einer Extraportion des berühmten Hirnpröllers belohnt. Diese ebenso traditionsreiche wie legendäre Stärkung ist eigentlich eine Art Kräuterlikör, der seinen Namen einem Stammgast verdankt, der eines schönen Tages in blauäugigem Übermut allzu sehr in die Tiefen unseres braunen, magischen Trankes hinab tauchte. Als er sich am nächsten Tag knieweich und mit erheblichem Brummschädel im Standl einfand, fragte er Franz, was er denn da gestern für einen „Hirnpröller“ getrunken habe. Nun ja, ein ordentlicher Stammgast, musste auch hin und wieder „pröllen“, aber wie die soeben erzählte Geschichte beweist, ist auch hier, wie bei allen Dingen des Lebens, das rechte Maß gefragt. Wer dieses fand, konnte vielleicht am Boden eines Stamperls ein Stückchen Heiterkeit entdecken, das der wahre Treibstoff der meisten Geschichten war, die wir erlebt haben.


POSITIONIERUNGEN


Den Anfang im bunten Reigen der „Abenteuer“, über die hier berichtet werden soll, macht unser lieber Freund und Galerieerfinder Erwin, der stets voller neuer, phantastischer Ideen steckte, von denen uns viele eine Menge Spaß bereiteten. Er entstammte einem Milieu, das man früher wohl als „Arbeiterklasse“ bezeichnet hätte und wurde oft zwischen den damit verbundenen Werten aus seiner Jugendzeit und den lichten Höhen der hehren Kunst hin- und hergerissen. An jenem Abend hockte er in seiner typischen Haltung mit hochgezogenen Schultern „halslos“ nach vorne geneigt gegenüber von unserem Stammplatz und war wieder einmal irgendwo in den unendlichen Weiten seiner Gedankenuniversen verschollen. Sascha versteckte sich hinter der Kronenzeitung, um sich über das Ergebnis des letzten Sturmspiels zu informieren, Franz frönte seiner Leidenschaft für flotte Schlitten und blätterte in einem Automagazin, und ich saß da und mir war fad. Ein kurzer Blick in unser graues, tönernes Stammkrügerl, aus dem wir bei Franz jeden Abend unser Bierchen tranken, belehrte mich obendrein, dass der edle Gerstensaft wieder einmal klammheimlich verdunstet war. Bei unserem Haus- und Hoftrinkgefäß, das von einem lieben Bekannten, dem „Paulchen“, wie sein Spitzname war, geschenkt bekommen hatten, war aber ein fieser Trick eingebaut: An der Seite mit dem Henkel befand sich ein kleines Pfeiferl, das, wenn man hineinblies, den Wirt in höllischer Lautstärke, die die Wände des Standls zum Wackeln brachte, vor der drohenden Verdurstung eines Stammgastes warnte. Die warnende Aufschrift an der Seite des Krügerls, „Ein Pfiff-Ein Bier“, wies auf diesen infernalischen Gag hin. Mit der Tücke falscher Signale dieser oder ähnlicher Art machte ein anderer Stammgast, Hermann, der uns ebenfalls zahlreiche heitere und oft auch schrullige Geschichten lieferte, so seine eigenen Erfahrungen, von denen später noch die Rede sein wird. Auch an jenem Abend, an dem sich Erwins Geschichte zutrug, sah ich mich genötigt, durch einen kühnen Pfiff, der die Besatzung des Standls samt Captain brutal aus dem verfrühten Winterschlaf riss, auf die beginnende Ausdörrung unserer Gurgeln hinzuweisen. Franz erwachte aus seinen Autoträumen und enteilte hinter die Budel, um den so energisch geforderten Nachschub zu holen, Sascha legte die Zeitung weg und verstaute seine Lesebrille im dazugehörigen Etui, und auch Erwin beamte sich mit einem Ruck zurück in die Realität, hob den rechten Zeigefinger und bedachte uns mit einem erkenntnistiefen Satz aus einem seiner Paralleluniversen:


„Ich bin ein Mimikry-Proletarier!“


Dann griff er nach seiner obligaten roten Mischung, die er hin und wieder einem Bier vorzog, schob seine große Brille, die ihm über die Nase gerutscht war, hinauf, tauchte seinen struwweligen braunen Schnurrbart tief in das Glas, nahm einen großen Schluck und entschwand wieder in den unergründlichen Weiten seiner Gedankenwelten. Wir übrigen drei saßen da wie die Osterhasen zu Weihnachten, blinzelten ihn verwundert an und harrten vergeblich einer näheren Erklärung zur Erleuchtung unserer Gedanken. Erwin aber hüllte sich weiter in beharrliches, gar nicht beredtes Schweigen und ließ uns im geistigen Regen stehen. Das konnte ich natürlich nicht auf uns sitzen lassen, und so startete ich einen Interpretationsversuch dieser mehr als kryptischen Bemerkung:


„Der Erwin weiß eben zum Unterschied von manchen Politikern ganz genau, zwischen welchen beiden Sesseln er sitzt!“


Eine der Begleiterscheinungen von Erwins Positionierung zwischen den Welten war, dass er sehr viel las und sich besonders auf dem Gebiet der bildenden Kunst ein umfangreiches Wissen angeeignet hatte. Der Nachteil daran war, dass ihm manchmal im wahrsten Sinne des Wortes „der Kopf überging“ und er all die gelesenen Wunderdinge in endlosen Monologen vor uns ausbreitete. Auch in diesen Fällen erwies sich der eine oder andere Schluck unseres Hirnpröllers als probates Mittel, um sich gegen die Fährnisse eines solchen Abends zu wappnen.


Immer wenn es um Bildung und Belesenheit geht, fällt mir Hermann ein, der ursprünglich ebenfalls zum Standlurgestein gehörte, später aber aufs Land entschwand und nur mehr selten nach Graz kam. Inzwischen ist er, wie leider allzu viele unserer alten Crew, schon gestorben und hat, wie ich meine, in diesem kleinen Büchlein ein Denkmal verdient. Er verfügte über ein wahrhaft enzyklopädisches Allgemeinwissen und konnte mit gutem Recht als wandelndes Lexikon bezeichnet werden. Hermann wusste alles und jedes! Er war allerdings auch geradezu das Paradebeispiel einer alten Binsenweisheit: Gott weiß alles, Hermann weiß es besser. Unter anderem verfügte er auch über ein hypersensibles Sprachohr, mit dessen Hilfe er jeglichen Verstoß gegen die ehernen Gesetze der Phonetik oder Grammatik ortete, um sodann den linguistischen Missetäter mit erhobenem Zeigefinger und strengem Blick eines Besseren zu belehren. Allerdings trieb Hermanns Schläue in dieser Hinsicht manchmal wundersame Blüten: So versuchte er eines schönen Tages, als wir uns wieder einmal in trauter Eintracht um unser Stammtischchen versammelten, die tiefen Geheimnisse der englischen Sprache vor unseren, speziell meinen, ignoranten Augen zu enthüllen. Denn jemand, der wie ich Englisch studierte, musste unter allen Umständen die Wahrheit über diese Sprache erfahren! Irgendwie war das Gespräch an diesem Abend auf Außerirdische gekommen, deren Existenz für mich zweifelsfrei erwiesen ist, wenn ich mir manche Zeitgenossen ansehe, die auf diesem Planeten ihr Unwesen treiben und von denen sich manchmal auch einige in das Innere des Standls verirrten. Das eine oder andere dieser Wunderexemplare, die hin und wieder zu unserer Erheiterung beigetragen haben, wird hier noch als Held so mancher Geschichte seinen großen Auftritt bekommen. An diesem Abend jedoch wurde mein hehrer Versuch, das Vorhandensein dieser besonderen Spezies auch wissenschaftlich gebührend zu untermauern, jäh unterbrochen, denn ich kam nur bis „Also Aliens...“, dann hatte ich auch schon Hermanns spitzen Zeigefinger im Gesicht, und er erteilte mir unwissender Tomate mit strengem Blick eine gehörige Lektion: „Äh- lei -änns heißt das! Gerade du als Sprachenstudentin solltest eigentlich wissen wie man das ausspricht!“ Diese tiefe Erkenntnis erschütterte meine arme des Englischen wie auch Spanischen sehr wohl mächtige Seele bis ins Mark und ich beschloss, diesen Schock zunächst einmal mit einem Hirnpröller zu bekämpfen, eine Idee, die auch bei Sascha und Franz Anklang fand.


Im Grunde bin ich sozusagen ein „Mimikry-Sprachwesen“, wie Erwin es wohl ausdgerückt hätte, denn auch ich lebe in zwei verschiedenen Welten: Einerseits male und schreibe ich, andererseits habe ich mittlerweile natürlich längst mein Studium beendet und bin Übersetzerin für Spanisch und Englisch. Glücklicherweise hat mich meine „Doppelexistenz“ nie auch nur annähernd in die Abgründe von Erwins Seelenturbulenzen gestürzt, weil ich nie dazu geneigt habe, die Dinge in genialer Chaotik durcheinanderzumixen, sondern es vielmehr immer gewohnt war, meine beiden Universen, die ja auch sehr widersprüchlich sein können, zu trennen und dort, wo es notwendig ist, wohlsortiert miteinander zu verknüpfen. Sascha hingegen kann sich voll und ganz seinen künstlerischen Aktivitäten des Malens und Schreibens widmen, ohne dauernd zwischen diversen Parallelwelten hin- und her jonglieren zu müssen. Dennoch hat er, wie folgende Geschichte zeigt, die Kunst des Vernetzens unterschiedlicher Dinge auf seine ganz spezielle Art perfektioniert.


LINGUISTISCHER SEX


An diesem Abend war ausnahmsweise fast die gesamte Standlcrew kurzfristig auf anderen Planeten zwischengelandet, denn außer uns und dem Captain hatte sich nur noch Hermann eingefunden, der leicht nach vorne geneigt am Tischchen neben unserem Stammplatz lehnte und in die meditative Betrachtung seiner Bierflasche versunken war. Auch die letzten Tropfen der Spezialhirnpröllerrunde, die Franz zur Linderung der allgemeinen wie auch ungewohnten Fadesse spendiert hatte, waren soeben verdunstet, Sascha stellte sein leeres Stamperl neben meines, warf einen kurzen Blick in die nicht sehr zahlreiche Runde und stellte eine wohlberechtigte Frage in den Raum:


„Beim Franz ist die Welt noch in Ordnung! I bin i, mir san mir, oba wo san die ondan?“


Saschas ungewohntes Absacken in die Niederungen des Dialektes löste bei Hermann einen infernalisch-linguistischen Schock aus, er umklammerte krampfhaft seine Bierflasche, sein Körper krümmte sich in korkenzieherartigen Windungen, er kniff die Augen zusammen, sein Schnurrbart sträubte sich, sein Kopf lief knallrot an, und ein Urschrei des Schmerzes entrang sich seiner gequälten Seele:


„Autsch!!“


Das war der Startschuss zu einer von Hermanns gefürchteten Endlospredigten, in der er Sascha auf hochwissenschaftliche Weise vor Augen führte, dass eine solche Ausdrucksweise nicht nur fehlerhaft, sondern seiner als Schriftsteller überhaupt gänzlich unwürdig sei. Nach etlichen Exkursen über das Wesen der deutschen Sprache hielt er Sascha seinen berüchtigten erhobenen Zeigefinger unter die Nase und erklärte:


„Das Wort Linguistik stammt aus dem Latein und hat etwas mit dem Gebrauch der Zunge zu tun.... “


An dieser Stelle legte unser verehrter Allweiser zwecks Ölung seiner Gurgel eine dramaturgische Pause ein, die Sascha, den diese Abundanz an Wissenschaftlichkeit faszinierte, dazu benutzte, um all den Erkenntnissen Hermanns seine eigene Interpretation hinzuzufügen:


„Linguistik ist eine der lustigsten Sexualpraktiken für Männer!“


Herrmann stellte mit einem Knall seine fast leere Bierflasche ab, die Augen wurden immer runder und größer, er schnappte nach Luft und sah aus wie ein Frosch nach der Begegnung mit einer Straßenwalze. Damit hatte er nicht gerechnet!! Das war ihm noch nicht vorgekommen!! Die längere kontemplative Pause unseres sprachbewanderten Helden wurde von uns für ein Kichern und die lange fällige Hirnpröllerrunde genutzt.


Die Höhen und Tiefen, aber auch die Tücken und Hürden des Deutschen wurden uns an diesem Abend noch durch eine weitere Geschichte vor Augen geführt, die von einer sprachlichen Begegnung der dritten Art handelt.


KULINARISCHE VERSCHREIBSEL


Das einzig Unpraktische bei Franz war in der Anfangszeit das Fehlen eines gewissen Örtchens, dessen Besuch nach dem Genuss des einen oder anderen Bierchens nun einmal eine unabdingbare und manchmal äußerst dringliche Notwendigkeit ist. Man hatte daher keine andere Wahl als zu diesem Zweck über die Straße in das gegenüberliegende Kino zu gehen. Gott sei Dank hat sich das später geändert, und Bedürftige konnten einen Keller um die Ecke aufsuchen, um derlei Geschäfte zu erledigen. Allerdings entdeckten findige männliche Standlinsassen klammheimlich einen „Ausweg für Buben“: Sie schlichen sich des Nächtens, wenn es dunkel war, zu einem ziemlich großen, stacheligen Gebüsch mit kleinen, roten Früchten schräg gegenüber dem Standl, das den Spitznamen „Eibe“ trug. Frage mich niemand, ob das botanisch korrekt ist, fest steht nur, dass ein Besuch dieses Ortes für eine Dame weder schicklich noch technisch durchführbar war, weshalb das zarte Geschlecht den Gang in den Keller bevorzugte. Allerdings konnten die „Mädchen“ sich damit trösten, dass auch die „Buben“ die Eibe nur frequentierten, wenn es dunkel war, weil tagsüber dort hin und wieder Leute vorbeigingen, die solcherlei Tätigkeiten mit Sicherheit scheel beäugt hätten.


Zum Zeitpunkt unseres zweiten linguistischen Abenteuers war es Sommer und draußen trotz der etwas vorgerückten Stunde noch zu hell für einen Eibengang. Daher sah sich Erwin, der sich inzwischen zu unserer trauten Runde gesellt hatte, gezwungen, in den Keller zu enteilen.


Eine der hervorstechendsten Eigenschaften unseres verehrten Künstlerkollegen war es, das sicher mit Abstand das schnellste „Kellerkind“ der gesamten Standlcrew zu sein, denn er pflegte die dort fällige Tätigkeit in geradezu legendärer Geschwindigkeit zu erledigen. Diese sensationelle Eigenschaft Erwins faszinierte Big Boss Franz so, dass er eines Tages beschloss, die Zeit zu stoppen, um etwaige Weltrekorde sogleich für das Guinessbuch festzuhalten. Und tatsächlich gelang es Erwin diesmal, sich selbst zu übertreffen, denn Franz hatte noch kaum seine Stoppuhr hervorgekramt und zwecks Ablesung derselbigen seine kleine, bunte Halbbrille aufgesetzt, da war Erwin auch schon wieder zurück. Wie er das gemacht hat, ist uns bis heute ein Rätsel geblieben. Auf jeden Fall purzelte Erwins alter Rekord in unendliche Tiefen, als Franz die neue Superzeit verkündete:


„Unglaublich, eine Minute dreißig!“


Knapp hinter Erwin hatte ein unbekannter, großer dunkelhaariger Mann das Standl betreten, der sichtlich weder mit der Meldung des Captains noch mit Erwins zufriedenem Grinsen, mit dem er diese zur Kenntnis nahm, etwas anzufangen wusste und machte in etwas holprigem Deutsch eine Bestellung:


„Zwei kleines Bira bitte, mitzumnämmen!“


Franz erhob sich von seinen Platz uns gegenüber, um in gewohnt freundlicher Art und Weise den Wunsch des Gastes zu erfüllen, er stellte zwei kleine Dosen Bier auf die Theke, der Unbekannte zahlte und entschwand wieder in die Außenwelt. Ich blickte ihm nach wie er mit langen, eiligen Schritten die Straße überquerte und an der Haltestelle auf der gegenüberliegenden Seite in eine Straßenbahn stieg, die stadteinwärts davonfuhr. Dann nahm ich nachdenklich einen Schluck aus unserem Krügerl und sagte zu Sascha:


„Also ich liebe ja Fremdsprachen, Englisch und Spanisch sind wirklich toll, aber Deutsch möchte ich nicht lernen müssen.“


Hermann, der die ganze Zeit in seiner typischen nach vorne gebeugten Haltung neben unserem Stammplatz gelehnt war, hatte sich inzwischen von Saschas kühner linguistischer Sex-Interpretation erholt, blies die letzte Rauchwolke aus, dämpfte seine Zigarette ab und sagte:


„Um nicht Deutsch zu können muss man nicht unbedingt Ausländer sein, da gibt es schon bei uns wahre Wunderexemplare an Unbedarftheit. Heute habe ich auf einer Tafel vor einem Gasthaus ein kulinarisches Spezialität der Spitzenklasse entdeckt: Gordon Blö.“


Während ich mir vage vorzustellen versuchte, wie so etwas wohl schmecken würde, wenn der Koch auf seinem Gebiet denselben Durchblick hatte wie der Schreiber dieses Angebotes, lehnte Sascha sich zurück und kicherte in die ungläubige Stille hinein:


„Zebabzi!“


Hermann trat einen Schritt zurück, legte seine Stirn in verblüffte Denkfalten und machte ein Zugeständnis, bei ihm Seltenheitswert hatte:


„Nie gehört!“


Sascha nahm genüsslich einen Schluck Bier, wischte sich mit dem Handrücken über seinen grauen Schnurrbart und hob nun seinerseits den Zeigefinger.


„Aber Hermann! Das ist doch der berühmte Uigurenkhan aus dem dritten Jahrhundert!“


Hermann kniff die Augen zusammen und schlug sich leicht mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.


„Aaaah, da hinten hängt’s! Gleich hab ich’s.... Marco Polo..., Seidenstraße .... , Mongolensturm .... , Samarkand .... , verflixt, ich muss sofort im Brockhaus nachschauen!“


Sascha und ich begannen gleichzeitig hemmungslos zu kichern so, dass ich beinahe an dem Schluck Cervisia, den ich gerade nehmen wollte, erstickt wäre. Während ich mich mühsam wieder fing, klärte Sascha unseren hochverehrten Schlauberger auf:


„Das, oh Hermann, stand in weißer Kreide und leicht krakeliger Schrift auf einer Tafel vor einem Gasthaus in Wien und heißt Čevapcici!“


Hermanns Mundwinkel sackten nach unten, er machte einen runden Katzenbuckel, kniff die Augen zusammen, zog den Kopf ein, so dass er aussah als hätte er keinen Hals, ein Verdacht, in den ansonsten eigentlich nur Erwin geriet, dem dieser Körperteil offenbar wirklich fehlte, und drehte uns beleidigt die Kehrseite zu.


Franz, der die ganze Szenerie von seinem Platz hinter der Budel aus beobachtet hatte und den ein schöner Rücken manchmal auch entzücken konnte, streifte Hermann mit einem kurzen Blick und sagte:


„Ich hatte einmal ein Lokal im Burgenland, für das ich auch ein Holzschild schnitzen hatte lassen, auf dem ‚Restaurant’ stehen sollte. So weit so gut, das Schild wurde aufgestellt und alles schien in bester Ordnung zu sein, bis eines schönen Tages ein Gast kam und mich fragte, wie wir hier im Burgenland das Wort ‚Restaurant’ schrieben. Schließlich ging ich mit ihm vor die Türe, um zu sehen, was er meinte, er deutete auf das Schild und was glaubt ihr ist da gestanden?! ‚Restaraunt’! Und die ganze Zeit war das niemandem aufgefallen! Auch später, als ich es längst verkauft hatte, ist das lange Jahre so geblieben, ohne dass es noch jemand bemerkt hätte!“


Sascha lehnte sich gelassen zurück und stellte abschließend fest:


„Gordon Blö, Zebabzi, Restaraunt, deutsches Sprache, schweres Sprache!“


So weit zu den manchmal gar nicht so versteckten Fallen unserer lieben Muttersprache und dem unerhörten linguistischen Durchblick, den manche Leute an den Tag legen. Es gab aber auch noch andere Standlinsassen, deren geradezu phantastische sprachliche wie auch kulinarische Höhenflüge uns an so manchem Abend erheitert haben. Die im wahrsten Sinne des Wortes wuchtigste Erscheinung dieser Art war Anna, deren ausladender Umfang Franzens kleine Theke so zu füllen vermochte, dass neben ihr kaum eine Spaghetti Platz gefunden hätte. Anna lebte einen Katzensprung vom Standl entfernt in einer winzigen Kellerwohnung und war früher einmal Hausmeisterin gewesen. Sicher ist, dass sie über weite Strecken ihres Lebens nicht zu den Begüterten und Bevorzugten dieser Welt zählte, denn viele Jahre lang sahen wir sie von einem Supermarkt zu anderen ziehen und Holzkisten aller Art mühsam nach Hause schleppen, um im Winter ein wenig Wärme zu haben. Sascha half ihr in dieser Zeit oft, indem er ihr die eine oder andere Ladung dieses sperrigen Heizmaterials nach Hause trug. Als Anna dann später in Pension ging, hatte sie es leichter und entdeckte ein neues Hobby: Essen und Trinken, und das mit Genuss und fulminanter Exzessivität. Sie brachte auch oft ihre Jause zu Franz mit, breitete dann alles Mögliche, vom Schweinsbraten bis zum selbstgemachten Grammelschmalz auf der Theke aus und begann genüsslich in sich hineinzumampfen, wobei sie als freigiebige Seele natürlich auch dafür sorgte, dass andere, besonders Franz, an ihren Köstlichkeiten teilhatten, denn alleine essen ist bekanntlich fad. Am Ende ihres Schlemmermahles, von dem ein ganzes Rudel hungriger Wölfe für drei Wochen satt geworden wäre, kam der Nachtisch, den sie über alles liebte: Rumkugeln, die sie in geradezu beängstigender Menge und in einer Geschwindigkeit in sich hineinstopfte, die mindestens ebenso rekordverdächtig war wie Erwins Eibengänge. Annas Trinkgefäß war ein Keramikbecher, in dem ungefähr so viel Platz hatte wie in unserem Krügerl, nur dass sie dort keineswegs bloß Bier hineinfüllte, sondern ihn als „Sammelstelle“ für so ziemlich alles benutzte, was Franz so zu bieten hatte, vom Rumtee über Rotwein bis zum Hirnpröller, sogar ein paar ihrer geliebten Rumkugeln warf sie manches Mal hinein, um zu sehen, ob sie auch in flüssiger Form schmeckten.


Natürlich hatte auch Anna mit den linguistischen und phonetischen Fallstricken und Tücken der deutschen Sprache so ihre liebe Not. So schaffte sie es zum Beispiel einfach nicht „Sascha“ zu sagen, es wurde immer „Schascha“ daraus, da halfen alle Spezialkurse, die Franz und wir ihr verpassten, nichts, und auch Herrmanns erhobener Zeigefinger blieb wirkungslos. Dass Anna mitunter auch kreativ war und ihre eigenen Wörter erfand, an denen sie dann beharrlich festhielt, zeigt eine andere Geschichte, die in der nächsten Ausgabe von „Courage Neu“ erzählt wird.


14.

APHORISMEN


Natürlich haben wir uns auch beide in der Kunst der Aphorismen geübt, von denen hier jeweils drei zitiert werden sollen. Den Anfang mache ich:


Dieselbe Sprache zu sprechen, ist oft kein linguistisches Problem.


Streitkultur ist das Gezänk der angeblich Wissenden um des Kaisers Bart.


Vordenken erwünscht, Querdenken erlaubt, Mitdenken ein Wunschtraum, Nachdenken Illusion.



Und jetzt folgen Saschas Aphorismen, die bereits in einem kleinen Büchlein veröffentlicht wurden, das – wie alle Bücher – auf Amazon als Taschenbuch und eBook erhältlich ist. Ein Vorstellung der Werke ist hier, auf dieser Website, unter "Harami Verlag" zu finden.


Hüte dich vor all denen, die aus den letzten Resten unserer Kultur einen Kult machen!


Die Krankheit ist oft ungefährlicher als die Medizin.


Die Krönung dessen, was heute als Kultur gilt, wäre der Watschentanz als Weltkulturerbe.


COMIX, COMIX, COMIX


Natürlich haben wir uns beide auch im Comic-Genre versucht, das uns in seinen vielen heiteren Facetten eine reiche Spielwiese geboten hat. Den Anfang macht hier Sascha mit "Hugo, der kleine Geist", der Geschichte eines Geisterchens, das auf einem Dachboden wohnt und seiner Freundin, der Fledermaus, der er seine Gedanken über Gott und die Welt und sonst noch allerlei erzählt. Anschließend werde ich drei kurze Episoden aus unserer Standlzeit, die ich in Comics verwandelt habe, vorstellen.


HUGO, DER KLEINE GEIST


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Und nun zu drei nostalgischen Geschichten, die bei Lisa Pumpernickel und Mitzi Marple immer ein erheitertes Kichern hervorrufen - die Frau Doktor begnügt sich natürlich mit leisem, aber deutlichem Kopfschütteln - aber die gelegentlichen Einladungen zu dem einem oder anderen Gläschen Sekt hat sie dennoch immer gerne angenommen. Übrigens: Der Titel des ersten Comics, "The Brainshakers", stammt von Lisa, die das Standl-Zauberwort "Hirnpröller", das in einer der oben erzählten Geschichten erklärt wird, auf Englisch übersetzt hat.



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Wer die Standlg'schichten und auch die drei Comics oben aufmerksam gelesen hat, wird möglicherweise schon erkannt haben, dass ich hier einige der Insassen aufs Korn genommen habe. Der "Autsch!"-Rufer im ersten Comic ist natürlich Hermann, der Held der beiden ersten Geschichten. Die kleine Büste mit den Füßchen ist Erwin, unser Standl-Bildhauer und wackerer Mitstreiter bei so manchem Kunst-Event, den wir dort im Freien abgehalten haben. Auch unser berühmtes Krügerl mit der Aufschrift "Ein Pfiff - Ein Bier", das von Franz, der auf dem zweiten comic-Streifen zu sehen ist, immer so eifrig nachgefüllt wurde, habe ich hier verewigt.


Hiermit sind wir am Ende dieser lange fälligen Erstausgabe von "Courage neu" angelangt und hoffen, dass die Beiträge fleißig gelesenen werden. Bis zum nächsten Mal!

 
 
 

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